Topic : Das ATOS-Magazin 5/00
Author : Das ATOS-Team
Version : 31.12.2000
Subject : ATOS Diskettenmagazine
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View Ref-File ATOS Reportagen
Milan II wurde auf Eis gelegt I Das ATOS-Magazin 5/00
Interview mit Ali Goukassian
Die Meldung schlug in Atari-Kreisen wie eine Bombe ein: Der Milan II
wird auf Eis gelegt!
Zu diesem Thema führten wir ein Interview mit dem Geschäftsführer der
Milan Computersystems Ali Goukassian.
ATOS: Am 10.10.2000 haben Sie auf der Webseite der Milan
Computersystems bekannt gegeben, dass der Milan II auf Eis
gelegt wird. Warum kam diese Entscheidung so spät?
Ali G.: Dass der Milan II in der geplanten Form eventuell auf Eis
gelegt werden müsste, zeichnete sich im September ab, als
die genannten Bauteile, die zur endgültigen Fertigung nötig
und vom Milan I her bekannt sind, partout nicht aufzutreiben
waren. Wir haben dann noch einige Wochen überlegt und
kalkuliert, welche Ausweichmöglichkeiten es geben könnte und
sind schließlich zu dem bekannten Ergebnis gekommen.
ATOS: Weshalb hat man in der Zeit nach der Messe im Juni bis zur
Bekanntgabe am 10.10.2000 so wenig vom Milan gehört? Wäre es
nicht sinnvoller gewesen, sich gegenüber der Atari-
Anwenderschaft Informationsfreudiger zu geben und ständig
über die Situation zu berichten?
Ali G.: Im nachhinein betrachtet vielleicht schon. Aber ich habe es
jedem einzelnen User, der mir geschrieben oder mich
angerufen hat, versucht, zu verdeutlichen: Bei der
Realisation eines so umfangreichen Projektes wie dem Milan
II kommt es täglich zu Ereignissen, die eine komplette
Kehrtwende der Marschroute bedeuten können. So hätten wir
die Anwender immer wieder mit guten und mit schlechten
Nachrichten in eine (als Versprechen zu deutende) Euphorie
oder in unnötige Unsicherheit gestürzt. Selbst etappenweise
Auswertungen hätten uns da nicht weiter geholfen.
ATOS: In den Ausgaben 8 und 9 der ST-Computer wird, auch von Ihrer
Seite, noch groß vom Milan II berichtet. Warum sind Sie hier
nicht schon kürzer getreten? Warum stand dort nichts von den
Problemen, die schon existierten?
Ali G.: Die Probleme, die zu Zeiten der Interviews (man bedenke
Druckvorlaufzeiten, die Verspätung der ST-C) auftraten,
konnten wir Dank der Rekrutierung zusätzlichen Personals
nach Mühen auch lösen. Explizit ist hier beispielsweise die
Anbindung der Grafik gemeint.
ATOS: In Ihrem Statement schreiben Sie, dass es immer wieder
technische Probleme gab. So zum Beispiel bei der Integration
des AGP-Ports und des SDRAMs. Warum hat man nicht schon
wesentlich früher diese modernen Techniken eingesetzt?
Weshalb wurden immer wieder auslaufende Standards benutzt?
Ali G.: Zweifelsohne ein Fehler - das muss ich an dieser Stelle
eingestehen. Aber auch hierfür gibt es eine Begründung, wenn
auch keine Entschuldigung. Insbesondere die Einbindung des
AGP-Ports oder der SDRAMS ist um ein Vielfaches aufwendiger
als die von uns verwendeten Standards. Wenn man sich mal
vergleichbare Projekte - und damit meine ich nicht nur
Pendanten auf TOS-Basis - anschaut, so sieht man, dass immer
wieder an den selben Stellen moderne Technik umgangen wird.
Wie gesagt: Zu Lösen ist alles, doch es ist auch eine Frage
der Zeit. Wir sind keine Firma wie Siemens oder Intel, die
kurzerhand 50 Ingenieure für ein Projekt aus verschiedenen
Bereichen abstellen können, um mit voller Man-Power daran zu
arbeiten. Bei uns musste bald ein Ergebnis her, das aus
unserer Sicht tragbar schien.
ATOS: Ein letzter großer Schock war nach Ihrer Aussage die
Einstellung der Produktion eines wichtigen Logik-Chips.
Hätte man bei der heute so rasanten Hardware-Entwicklung
nicht damit rechnen müssen? Warum wurden keine Alternativen
zu diesen Chip bedacht?
Ali G.: Auch hier ist die Zeit ein großer Faktor. Vergleichbares gab
es nie. Von der Portabilität zumindest nicht. Als die
Grundtechnik 1997 begonnen wurde zu entwickeln, konnten wir
nicht so viel Zeit entbehren, ein alternativen-taugliches
Board zu entwickeln. Wie ich in meinem Statement erwähnte,
sagte uns der Hersteller seinerzeit auch schriftlich eine
Existenz der Bauteile bis mindestens Ende 2000 zu. Insofern
fühlten wir uns auch wirklich in Sicherheit gewogen und
sahen keine Veranlassung, in der ohnehin knappen Zeit
alternative Möglichkeiten von Beginn an auf dem Board zu
berücksichtigen. Heute haben wir natürlich als Mini-Firma
mit unserer Forderung nach Einhalten der Versprechen
keinerlei Handhabe. Da wird man bei den Big-Playern nur
belächelt. Eine wahrhaft niederschmetternde Erfahrung ...
ATOS: In Ihrem Statement ist auch zu lesen: Es habe immer Bedenken
gegeben ob sich ein 80 MHz Computer durchsetzen kann und ob
es reichen würde einen technologisch hoffnungslos veralteten
Hauptprozessor einzusetzen. Woher kommen plötzlich diese
Bedenken? Warum hat man nicht gleich zu Beginn des Projekts
auf moderne Hardware (z.B. Power PC) gesetzt?
Ali G.: Ich habe mich hier nicht präzise ausgedrückt. Mit 'immer
Bedenken' meinte ich nicht den Zeitpunkt der 'Erfindung' des
Milan, sondern besonders die vergangenen Monate vor dem
geplanten Marktstart. Ich bitte die mangelnde Präzision hier
zu entschuldigen. Der Grund, nicht auf PPC-Hardware zu
setzen, lag einfach darin, dass uns die Idee mit dem Linux-
Kern seinerzeit noch nicht gekommen war und wir wussten,
dass bei der bestehenden Personaldecke ein Mehraufwand von
mindestens einem Jahr nötig gewesen wäre, um etwas
Ansehnliches auf PPC-Basis zum Laufen zu bringen. Aber auch
hierzu gab es natürlich Stundenlange Diskussionen und
Überlegungen.
ATOS: Haben Sie wirklich bis zuletzt an einen Erfolg des Milan II
geglaubt?
Ali G.: Es ist keine 5 Wochen her, dass eine große
Einzelhandelskette sich bei uns erkundigt hat, wie es denn
mit dem Easy-Computing-System nun stünde. Man habe Interesse
daran, es für die Weihnachtszeit verstärkt zu bewerben, da
der Strom an Computer-Neulingen noch immer ungebrochen sei.
Das war nur eine von vielen Meldungen bei uns. Und wenn man
eben solche Angebote unterbreitet bekommt, dann kann man
nicht an einen Misserfolg glauben. Aus meiner Sicht macht es
in keiner Lebenslage Sinn, etwas durchzuführen, an das man
nicht glaubt.
ATOS: Hat das Ende des Milan II etwas mit Ihrem neuen
Betätigungsfeld (Mac-Zeitschrift) zu tun?
Ali G.: Keineswegs. Wer mich persönlich kennt, weiß, dass ich lieber
80 Stunden die Woche arbeite und mich auf diversen Feldern
bewege, als mich mit den 40 Standard-Stunden mit einer Sache
zufrieden zu geben. Die Mac-Zeitschrift (www.mac-life.de)
wird seit der CeBit´98 geplant und wurde immer wieder auf
Eis gelegt und neu aufgenommen, bis uns der Zeitpunkt nun
sinnvoll erschien. Hier habe ich aber sehr viel Arbeit
ausgelagert und primär meine 6 Jahre Erfahrung im Verlags-
und Redaktionswesen einfließen lassen.
ATOS: Es ist in der heutigen Zeit sicherlich nicht leicht ein
neues Computersystem zu entwickeln und zu vermarkten, aber
es gab von Seiten der Milan Computersystems immer wieder
Ankündigungen, die nicht eingehalten wurden. Meinen Sie,
dass Sie das Vertrauen der Atarianwender enttäuscht haben?
Ali G.: Wenn ja, dann bitte ich dies zu entschuldigen. Ich hoffe,
dass aber insbesondere dem Entwicklerteam der Respekt für
das bislang Erreichte gezollt wird. Immerhin gibt es nicht
viele Firmen und Teams, die es bislang geschafft haben, ein
Computersystem lauffähig auf die Beine zu stellen. Ich
denke, dass die verrichtete Arbeit bis dato grandios ist.
Bedenkt man, dass da ein paar kluge Köpfe eine Hardware
entwickeln, auf der Atari-Software läuft, so ist das aus
meiner Sicht eine Meisterleistung, vor der ich persönlich
meine Hochachtung habe. Sehen Sie: Es gibt Firmen, die mit
einem Dutzend Programmierer eine vergleichsweise kleine
Software nur mit vielen, vielen Bugs zum Laufen bekommen,
obwohl sie über ein Jahr lang daran programmieren. Unsere
Entwickler haben einen ungleich größeren Kampf aufgenommen.
Sie mussten eine komplett neue Hardware entwickeln. Und sie
mussten ein gnadenlos veraltetes Betriebssystem so sehr
umstricken, bis es auf der neuen Hardware lief. Und zu guter
letzt bestand die große Aufgabe darin, möglichst viele der
alten Programme auf dieser neuen Kombination lauffähig zu
gestalten. Ich hoffe also, nicht gänzlich, sondern nur auf
einer Zwischenetappe enttäuscht zu haben.
ATOS: Können Sie Anwender verstehen, die jetzt dem Atari nicht
mehr treu bleiben, weil Sie endlich etwas handfestes wollen?
Ali G.: Natürlich kann ich das verstehen. Ich war immer ein großer
Fan des modernen Atari-Betriebssystems (MagiC, N.AES) in
Kombination mit einem extrem kleinen Kern, der nicht auf
dicken Brocken wie Windows oder Mac OS basiert. Aber klar
ist auch, dass man moderne Hardware unter den Fingern spüren
möchte. Das hätten wir ansatzweise auch schon mit dem Milan
II zeigen können. Der Milan I erfüllt diese Wünsche aber
sicherlich nur unzureichend.
ATOS: Wie wollen Sie das Vertrauen der Anwender wieder herstellen
und was wollen Sie eventuell an Ihrer Öffentlichkeitsarbeit
ändern?
Ali G.: Stichwort Karten: Ich meine die offenen Karten, mit denen
wir spielen werden. Wir müssen halt nur einen Weg finden,
wie wir Neues so verbreiten, dass es nicht sofort als
Versprechen oder Misserfolg aufgefasst wird. Dann können wir
immer einen Statusreport liefern. Ich denke, dass das Web
dabei eine große Rolle spielen muss. Es wird nun mindestens
alle zwei Wochen News auf der Milan-Site geben, die in
jüngster Zeit doch ein wenig eingeschlafen ist.
ATOS: Nach Aussage von Software-Häusern hat die Werbung seitens
der Milan Computersystems über das Milan-II-Softwarepaket
ein Ausbleiben der Umsätze verursacht? Oft kam es auf Messen
vor, dass sich Anwender die Software von den Herstellern
zeigen ließen, dann aber sagten: "Gute Sache, nur kaufen
werde ich es nicht - es ist ja beim Milan dabei." Dieser
Zustand zog sich durch immer neue Versprechen über ein Jahr
in die Länge. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?
Ali G.: Tatsächlich ein großes Problem. Und wir hätten das auch
nicht in dieser Form propagiert, wären wir nicht sicher
gewesen, dass es mit dem Milan II klappt. Wie gesagt, den
Genickbruch erlitten wir nicht aufgrund der Probleme,
sondern aufgrund eines überraschenden Ereignisses. Alles
andere wäre nicht gewissenhaft gewesen. Ich persönlich war
nie ein großer Fan von zu umfangreichen Softwarebundles und
deutete immer wieder darauf hin, dass die Softwarebranche
von einem Milan II würde leben müssen. Doch musste ich mich
auch dem Argument, ein fremdes System würde sich nur mit
umfangreicher Software gut verkaufen lassen, immer wieder
geschlagen geben. Ich hoffe, dass dieser Missstand durch die
offizielle Bekanntmachung seitens Milan-Computersystems nun
ein wenig kompensiert werden kann.
ATOS: Es gab auch den Vorwurf, dass es am Milan I zuletzt wenig
Interesse gab, weil der Milan II angekündigt war und der
Milan I gar nicht mehr großartig erwähnt wurde. Erst jetzt
nach Ihrem Statement fragen Kunden wieder nach dem Milan I.
Was sagen Sie dazu?
Ali G.: Tja, was soll ich sagen: Irgendwie muss es mich auch freuen,
da wir dringend Einkünfte erwirtschaften müssen. Uns selbst
hat das Ausbleiben der Verkäufe auch sehr getroffen. Milan-
Computersystems ist ein betriebswirtschaftlich 'normal'
funktionierendes Unternehmen, das Umsätze erwirtschaften
muss, um überleben zu können. Tatsächlich wurde die
Nachfrage nun wieder angeregt und hat zufriedenstellende
Ausmaße angenommen. Für das gesamte Team bedeutet dies auch,
dass das Thema keineswegs gestorben ist. Das freut uns in
der aktuellen Situation.
ATOS: Gab es Verträge mit Programmierern und können diese
Programmierer die Verträge wegen Nichteinhaltung des Termins
kündigen?
Ali G.: Es hat keine endgültigen Milan II-Verträge gegeben. Dieser
Bereich war stets Aufgabenfeld unseres
Distributionspartners, der - aus verständlichen Gründen -
erst dann zur schriftlichen Ratifizierung kommen wollte,
wenn die exakten Pläne stehen.
ATOS: Was ist nun nach dem Aus für den Milan II mit der
"Kooperative" mit AXRO, HP und Motorola?
Ali G.: AXRO steht nach wie vor voll hinter dem Milan-Projekt, was
damit zu begründen ist, das viele der nationalen und auch
internationalen Anfragen nach dem Milan direkt bei AXRO
eingehen. So wird dort vor Ort nach wie vor permanent
realisiert, welche Nachfrage bereits ohne
Akquisitionsaufwand besteht. HP wird uns auch weiterhin den
Rücken stärken, weil es dort keinerlei Anlass zu etwaigen
Rückzügen gibt. Deren Kooperationsbereitschaft ist
sicherlich auch pragmatisch begründet. Bei Motorola müssen
wir schauen, in wieweit die Kooperation noch zwingend
vonnöten ist, falls die künftige Hardware von uns komplett
käuflich erworben wird.
ATOS: Es gab ja nun schon einige Ankündigungen bezüglich Amiga-
Spielen, die auf den Milan portiert werden sollten. Was wird
nun daraus?
Ali G.: Derzeit werden diese Portierung weiter fortgeführt, da der
dafür notwendige Aufwand vergleichsweise gering ist und auch
der Milan I bereits Absatzchancen bietet. Ich habe lediglich
von 2 Projekten gehört, die vorübergehend auf Eis gelegt
wurden.. Die Bereitschaft, diese aber wieder aufzugreifen,
ist auf jeden Fall vorhanden.
ATOS: In der Erklärung vom 10.10.2000 berichten Sie auch von den
weiteren Plänen der Milan Computersystems. Es ist die Rede
von einem Vorhaben, das aus der Entwickler-Schublade gezogen
wurde. Worum handelt es sich dabei?
Ali G.: Meine Güte, dazu könnte ich mich in vielen Seiten äußern ...
werde aber versuchen, mich kurz zu fassen. Und vielleicht
gewinnt der eine oder andere Leser ein Gespür dafür, dass
wir nicht nur das Realisierte bedacht, sondern auch in die
Zukunft geschaut haben. Wir haben stets geplant, die Stärke
des TOS zu nutzen. Diese liegt nicht in der Modernität und
dem Funktionsumfang, sondern in seiner Größe. Und TOS sollte
langfristig nicht nur auf dem Milan II, sondern auch auf
Webpads (für die bereits Konzepte entwickelt wurden) und
anderen Geräten laufen. So stellte sich schon frühzeitig
heraus, dass wir langfristig unabhängig von der Hardware
werden mussten. Ein wesentlicher Teil eines jeden
Betriebssystems ist aber derjenige Teil des OS, der auf die
darunter liegende Hardware des entsprechenden Computers
ausgelegt ist. Schon die Anpassungen des TOS an die Milan
I-Hardware haben Monate beansprucht. Das gleiche Problem
hatte ASH seinerzeit bereits mit der Anpassung von MagiC an
den Falcon. Also haben wir ein Konzept ausgearbeitet, bei
dem derjenige Bereich des TOS durch einen nur wenige KB
großen Linux-Kern substituiert wird. Dieser Linux-Kern soll
die Kommunikation zum Prozessor und der restlichen Hardware
eines Systems herstellen. Der Vorteil, den wir darin sehen,
ist, dass es für etliche Prozessoren Linux-Anpassungen gibt
und dass für jegliche neu erscheinende Hardwareschnittstelle
(USB, FireWire usw.) Treiber binnen kürzester Zeit als
Open-Source zur Verfügung stehen. Warum sollte das Milan-
Team immer wieder neue Treiber in langer und mühsamer Arbeit
entwickeln, wenn es doch einfach auf Bestehende
zurückgreifen kann? Also haben wir eine Symbiose aus Linux-
Kern und TOS erarbeitet, die moderner und flexibler ist als
jedes bislang existierende TOS - vielleicht sogar OS.
ATOS: Das Konzept mit dem Linux-Kern hört sich gut an, aber
handelt sich das dann noch um ein typisches Atari-
Betriebssystem?
Ali G.: Ja! Keine Frage, denn man darf hier nicht den Fehler machen,
zu glauben, es würde auf einem Computer ein Linux
installiert, in dem sich ein Fenster öffnet und eine
Emulation abläuft. Das TOS hat bereits in der jetzigen Form
einen Hardware-abhängigen und einen Hardware-unabhängigen
Teil. Ebenso ist es mit MagiC. Man muss diesen Hardware-
abhängigen Teil einfach als eine Art Schleuse oder
Interpreter verstehen, der die Anfrage der jeweils laufenden
Software (und dazu gehört schon der Desktop) in eine für die
darunter liegende Hardware interpretiert. Nun, Linux hat
eben auch einen kleinen, 200-300 KB großen und
vergleichbaren Kern, der ausschließlich zur Interpretation
der Hardwarekommunikation vorhanden ist. Wir bedienen uns
lediglich dieses Kerns - nicht mehr und nicht weniger. Und
das tun wir nur, weil dieser Kern für so viele Prozessoren
zur Verfügung steht und weil in diesem Kern auch
Schnittstellentreiber, Festplattentreiber, Netzwerktreiber
usw. basieren. Der bereits jetzt im Milan I stark geänderte
TOS-Kern (was man übrigens gar nicht sieht ;-) wird einfach
ausgetauscht. Der Anwender bemerkt nichts und das
Betriebssystem ist bestenfalls 200 KB größer als zuvor.
ATOS: Die Quellen von Linux sind zwar frei verfügbar, aber nicht
frei von Copyrights. Inwiefern betreffen diese Copyrights
das Vorhaben, das Milan-OS auf Linux aufzusetzen, und wie
wird man sich folglich diese Symbiose aus "Public License"
auf der einen und dem sicherlich kommerziellen Teil des
geplanten Betriebssystems auf der anderen Seite vorzustellen
haben?
Ali G.: Diese Fragen werden derzeit für uns in den USA geklärt. Es
gibt weltweit nach meinem aktuellen Kenntnisstand noch 3
Firmen, die an ähnlich modularen Ideen und Konzepten
arbeiten. Diese schaffen es, gänzlich ohne Verletzung der
Copyrights auszukommen. Und dem Beispiel wollen wir folgen.
ATOS: Wenn man sich auf einen Linux-Kern verlässt, macht man sich
dann nicht von anderen Entwicklern abhängig?
Ali G.: Doch, sicherlich. Doch davon gibt es zig Tausende, während
das Milan-Team klein ist. Ich selbst bin kein Entwickler,
kann aber nach den vielen Monaten der Zusammenarbeit mit
Entwicklern geradezu ein Lied davon singen, was für ein
riesengroßer Aufwand es schon ist, einen Treiber zum
Ansprechen von USB-Ports zu schreiben. Für Linux erschienen
diese aber noch während der Phase der Etablierung des
Schnittstellenstandards. Und die Situation spricht für sich:
Auf Jahre ist kein Abbruch dieses Linux-Aufschwungs in
Aussicht, wenn ich selbst auch nicht glaube, dass sich Linux
je als Home-OS wird durchsetzen können.
ATOS: Was bemerkt der Anwender vom Linux-Kern?
Ali G.: Wie bereits erwähnt: Gar nichts, denn Linux ist ganz tief im
Kern des TOS versteckt.
ATOS: Wird der Anwender bei der Installationen neuer Hardware mit
Linux konfrontiert?
Ali G.: Nein, gar nicht. Das primäre Ziel, TOS klein zu behalten,
wird eingehalten. TOS soll nach wie vor auf ein Flash-Eprom
passen und binnen weniger Sekunden da sein. Doch anstelle
des TOS-Bootblocks, der die Milan-Hardware erkennt, wird
dies der Linux-Bootblock machen. Wir hätten Linux auch
verschweigen können oder schon jetzt im TOS haben können -
niemand hätte es je bemerkt. Es hätte sich nur jeder
gewundert, warum TOS plötzlich auf einer Playstation II
läuft (kleiner Spaß ...).
ATOS: Werden gängige Atari-Programme auf dem neuen System laufen
oder sind Anpassungen nötig?
Ali G.: GEM-konforme Programme, die keine direkten Hardwarezugriffe
machen, sollten laufen. Genauso ist es auch beim jetzigen
Milan, der ja - wie bereits erwähnt - einen komplett
erneuerten TOS-Kern hat. Aber dieser Punkt muss zwingend
gewährleistet sein, sonst wird niemand dafür garantieren
können, dass ein Programm auf allen Plattformen laufen wird.
ATOS: Müssen Programmierer, die Programme für das neue System
programmieren wollen, von Grund an neu lernen (vor allem was
die Programmierung von Hardwarezugriffen angeht), um
lauffähige Software zu entwickeln?
Ali G.: Nein, sie müssen sich lediglich an das Bewährte halten, was
insbesondere in den frühen Neunzigern ja noch nicht 'in'
war. Wer Software auf dem Milan I zum Laufen bekommt, sollte
dies auch auf dem neuen TOS schaffen.
ATOS: Mit welcher Entwicklungszeit rechnen Sie bis eine erste
lauffähige Version dieses neuen Betriebssystems vorführbar
ist? Die Rede ist von einer Veröffentlichung im ersten oder
zweiten Quartal 2001. Ist das eine realistische Angabe oder
eine überhebliche Schätzung, die die Anwender vor allem bei
der Stange halten soll?
Ali G.: Die Aussage ist eine erste Schätzung. Ich denke, wir werden
gegen Ende des Jahres erste repräsentative Versionen haben,
die man nicht nur unter größtem Aufwand einem ausgesuchten
Publikum zeigen kann. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es von
einem schon begeisternden ersten Anblick bis zur Marktreife
aber ein langer weg ist. Schließlich reicht es bei einem
solchen OS nicht, viele Programme, die laufen sollten, auch
zum Laufen zu bringen. Es müssen alle sein. Ein Punkt, der
sich hinzugesellt, ist, dass wir weiterhin Kapitalgeber
suchen. Diesmal wagen wir sogar den Sprung über den großen
Teich, in der Hoffnung, mit dem neuen Konzept auf offene
Ohren zu stoßen. Je mehr Kapital zur Verfügung steht, desto
schneller werden wir arbeiten können. Näheres wird den
regelmäßigen Updates der Site zu entnehmen sein. Auch spielt
es eine Rolle, wie unsere derzeitigen Verhandlungen mit dem
Hardware-Lizenzgeber laufen. Ergebnisse sind auch hier erst
für Mitte November zu erwarten. Alles in allem sollte die
Schätzung aber ausgewogen sein.
ATOS: Wie weit ist denn der Stand der Entwicklung?
Ali G.: Eine erste Variante war bereits kürzlich zu sehen, sie lief
aber unstabil und auch noch längst nicht auf jeder Hardware.
Immerhin, die Transformation hat geklappt.
ATOS: Welche Hürden müssen Sie bis zur Fertigstellung noch
überwinden?
Ali G.: Unsere 68k-Transform-Engine © muss einwandfrei laufen und
eine Interpretations-Schnittstelle mit Hinblick auf
künftige, möglicherweise auftretende Hardwarestandards muss
geschaffen werden, damit TOS auch langfristig bestehen kann.
ATOS: Wurden auch Faktoren berücksichtigt, die dieses Konzept zum
Stocken bringen könnten?
Ali G.: Haben wir, allerdings gebe ich gern zu, dass wir zum
derzeitigen Standpunkt in einem noch jungen Stadium sind und
erst nach einer offiziellen Hardwarekooperation einen
exakten Zeitplan werden schmieden können.
ATOS: Viele Anwender sind darauf angewiesen eine Zweite Plattform
zu nutzen. Wird das neue Betriebssystem den Parallel-Betrieb
mit einem zweiten Betriebssystem (z. B. Windows)
ermöglichen?
Ali G.: Sofern eine Intel-Plattform zugrunde liegt - ja. Da auf
einer Standard-Intel-Plattform allerdings kein ausreichender
Flash-Speicher zur Verfügung steht, wird diese Variante dann
wohl mit einer PCI-Karte oder etwas Vergleichbarem
ausgeliefert, auf der sich das OS befindet. Sollte es zur
Lizenzierung der individuellen Hardware kommen, dann läuft
vorab ausschließlich TOS darauf.
ATOS: Wer konkret entwickelt denn nun? Wer übernimmt die
Programmierarbeit? Wie sind die Aufgaben verteilt?
Ali G.: Das bisherige Team ist in die Sache involviert. Hinzu kommen
die möglichen Hardware-Lizenzgeber, die einen bestimmten
Teil der Arbeit übernehmen werden. Aber auch hier ist es vor
Abschluss von Verträgen zu früh, um Näheres zu sagen.
ATOS: Ist ein Softwarepaket geplant? Was soll es beinhalten?
Ali G.: Es könnte vergleichbar mit dem 'alten' Milan II-Paket sein.
ATOS: Der derzeitige Atari-Software-Markt hat so einige Mängel und
Lücken. Zum Beispiel fehlt immer noch eine konkurrenzfähige
Internet-Software. Leider gibt es auch nicht viele Produkte
die weiterentwickelt bzw. neu entwickelt werden. Wie wollen
Sie diesen Trend stoppen und für neue Innovationen sorgen?
Ali G.: Eine Frage, die mir auch Kopfschmerzen bereitet hat und
bereitet. Hier steht und fällt alles mit dem nötigen
Kapital. Entwickler für die Anpassung von JAVA, Flash etc.
gibt es mittlerweile, doch diese müssen bezahlt werden.
Sonst müssen wir vorab mit dem Existierenden auskommen, um
mit dem Erwirtschafteten weiter zu sehen. Was ich aber auf
jeden Fall forcieren werde, ist die Anbindung von SSL, damit
elementare Aufgaben wie das Homebanking gesichert sind.
ATOS: Werden Sie Softwareprodukte externer Entwickler unterstützen
und wie kommen interessierte Entwickler an
Informationsmaterial?
Ali G.: Nach Abschluss der Sondierungsgespräche im November werden
wir abstecken können, wie Entwickler am besten zu
unterstützen sind. Ich bitte dann um direkten Kontakt mit
mir.
ATOS: Welche konkreten Angebote macht Milan Computersystems
interessierten Programmierern?
Ali G.: Derzeit keine. Wir können finanziell nichts anbieten oder
garantieren. Ich setze darauf, dass wir interessierten
Entwicklern im Rahmen von Stillschweigensvereinbarungen
Anfang 2001 den Stand der Dinge offen darlegen und ihnen
damit selbst die Möglichkeit geben, zu erwägen, ob es sich
rentieren könnte, eine Software anzubieten oder nicht.
Sollte alles klappen, dürfte es interessant sein, einen
Übersetzer, eine gute Grafiksoftware oder was auch immer für
ein Betriebssystem anzubieten, das mittelfristig auf
vielfältigen Plattformen läuft.
ATOS: Die Rede ist auch von dem Milan III, einem neuen
Hardwareprojekt. Ist es den in der heutigen Zeit sinnvoll
ein eigenes Hardwareprojekt auf die Beine zu stellen?
Ali G.: Nein, ist es nicht. Wir haben den Milan III als Synonym für
das Gerät genommen, das uns derzeit als fertiger PPC-Rechner
angeboten wird. Sollte es zur Kooperation kommen, dann haben
wir ein super interessantes Gerät - einen echten ST des
neuen Jahrtausend.
ATOS: Ist es nicht besser, wenn das neue Betriebssystem auf einer
möglichst breiten Hardware-Palette funktioniert, sprich der
Kauf eines Standard-PCs genügt? Oder lässt sich das nicht so
schnell realisieren?
Ali G.: Doch, wie bereits kurz angedeutet allerdings nur mit
Einschränkungen. Es wird sicherlich möglich sein, eine
Variante zu liefern, die standardmässig läuft, doch werden
wir diese Version nachträglich liefern müssen. Denn hier
würde eine CD-ROM randvoll mit Treibern für die
verschiedensten System zur Installation vorausgesetzt.
Schließlich setzen wir ja weder auf Windows noch auf Mac OS
auf. Und ehe dies erledigt ist, werden wir ausgesuchte
Hardware anbieten bzw. empfehlen.
ATOS: Über welche Ausstattung soll der angesprochene Milan III
verfügen und welcher Preis wird anvisiert?
Ali G.: Sollten wir auf Standard-Hardware zurückgreifen, dann
erfüllen wir - dem entsprechend - alle aktuellen Standards.
Und selbst eine mögliche PPC-Variante ist auf dem neuesten
Stand der Dinge. Hinsichtlich des Preises müssen wir einen
iMac beispielsweise trotz der neuen Preisstruktur
unterbieten. Das sollte unser Ziel sein, wenn wir einen
neuen ST anpeilen.
ATOS: Viele Hersteller von Hard- und Software betrachten
heutzutage ihre technischen Protokolle als Geheimsprache.
TOS-Systeme hingegen waren meist (wohl auch, weil sie aus
einer Zeit stammen, wo das noch üblich war) sehr gut
dokumentiert und auch analysiert. Für Bastelvorhaben (man
denke an die vielen STs an Universitäten), wie auch für
kommerzielle Anwendungen (etwa bei Echtzeitanwendungen im
Musikbereich), konnte dadurch Funktionalität garantiert
werden. Geht nicht dadurch, dass man sich bei Milan
Computersystems von einer eigenen Hardware trennt, dieser
Vorteil verloren?
Ali G.: Mit Sicherheit besteht diese Gefahr. Aber wie viele Leute
basteln heute noch wirklich an und mit ihrem Computer? Die
Zeiten ändern sich, und aus meiner Sicht macht es nicht viel
Sinn, derart an den alten Zeiten zu hängen. Das
Einsatzgebiet des Milan wird primär im Heimanwender-Bereich
zu suchen sein. Es wäre geradezu ein Widerspruch, wenn wir
ein Einsteigersystem anbieten würden, das sich auch
besonders, beispielsweise zum Basteln eignet. Wir müssen
hier einen klaren Trennstrich ziehen und Anwendungsbereiche
suchen, in denen es eben von Vorteil ist, dass das
Betriebssystem auf so vielen Hardwareplattformen laufen
kann.
ATOS: Die ATOS hatte Herrn Martens von AXRO schon vor etwa einem
Jahr auf den Missstand einer fehlenden, kompetenten und in
irgendeiner Weise zentralen Instanz für neue Standards
hingewiesen. Diese wäre aber dringend nötig, um solchen
Wirrwarr - man denke an die Anzahl der vorhandenen TCP/IP-
Stacks - zu unterbinden. Sehen Sie hier die gleichen
Probleme wie wir, und falls ja, wie könnte eine Lösung
aussehen?
Ali G.: Ich hoffe inständig darauf, dass wir so viel wirtschaftliche
Power durch externe Unterstützung haben, dass wir die
Koordination zentralisieren können. Es ist nicht etwa so,
dass wir die Probleme nicht gesehen hätten. Aber es fehlte
einfach an Personal und Arbeitskraft, um die Vorstellungen,
die wir von einer zentral gesteuerten Instanz hatten und
haben, zu realisieren.
ATOS: Wird die Milan Computer Systems einmal diese zentrale
Instanz darstellen können?
Ali G.: Wie gesagt: Ich wünsche es mir, denn nur so können wir eine
klare Linie für Entwickler garantieren und eine einheitliche
Softwaredecke für Anwender garantieren.
ATOS: Welche Zielgruppe möchten Sie mit dem neuen OS ansprechen?
Nur den reinen Atarianwender oder wollen Sie auch neue
Anwender ins Boot holen?
Ali G.: Wir werden sicherlich stark bemüht sein, neue Anwender zu
gewinnen. Das liegt aus wirtschaftlichen Gründen auf der
Hand. Theoretisch kann das neue OS - so klein wie es ist -
auf Webpads, Taschen-PCs, Homecomputern oder auch Konsolen
laufen. Insofern ist das Potential groß. Es muss nur genutzt
werden.
ATOS: Wie wollen Sie es erreichen, dass das neue Betriebssystem
Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt?
Ali G.: Es ist jetzt aufgefallen, dass das Stichwort 'Hardware-
Kompatibilität durch Linux' vielerorts für großes Interesse
sorgt. Sobald es etwas zu sehen gibt, werden wir damit an
die Öffentlichkeit treten, um auch Lizenzpartner zu finden,
die ein entsprechendes Betriebssystem für ihre Hardware
benötigen.
ATOS: Wie wollen Sie potentielle Käufer von dem Produkt
überzeugen? Welche Vorteile wollen Sie in den Mittelpunkt
stellen?
Ali G.: Wir werden sicherlich keine echte Konkurrenz zu Windows oder
Mac OS darstellen können. Dieser Wunsch bliebe sicherlich
immer ein Traum. Man muss sich auf seine Stärken
konzentrieren. Diese liegen nicht darin, so vielseitig wie
nur irgendwie möglich zu sein, um sowohl auf einem Home-PC
als auch auf einer Industrie-Workstation ohne großen Aufwand
zu laufen. Das neue Betriebssystem ist sagenhaft klein.
Derzeit ringen die Entwickler mit 8-16 MB, um vergleichbare
Software wie unter TOS zum Laufen zu bringen. Wir schaffen
es mit allem drum und dran (gepackt) mit 2-3 MB. Damit
werden wir hausieren gehen.
ATOS: Gibt es schon konkrete Vorstellungen für den späteren
Vertrieb und wenn ja wie sehen diese Vorstellungen aus?
Ali G.: Gibt es leider noch nicht - zunächst muss das endgültige
Produkt detailliert skizziert sein, erst dann werden wir uns
den Vertriebsmöglichkeiten widmen.
ATOS: Wir danken Ihnen für das Gespräch und wünschen Ihnen, in
unser allem Sinne, weiterhin viel Erfolg.
Ali G.: Ich danke auch für das Gespräch - sicherlich das längste
Interview, das ich jemals gab. Aber ich freue mich, die
Gelegenheit bekommen zu haben, im Detail die Situation der
Milan-Computersystems darzulegen.
Thomas Burow
Milan II wurde auf Eis gelegt II